Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.
Weltpolitik
Als ich neulich in einem Buch über meine Heimatstadt blätterte, fiel mir ein Zitat aus unserem Darmstädter Nationaltepos „Der Datterich“ von Ernst Elias Niebergall ins Auge. 1841 lässt Niebergall seinen Drehermeister Dummbach die legendären Worte sprechen:
„Ich bin werklich gespannt uf die Franzose. Eh mer sich umguckt, hot mer se widda un werd se so bald net los; denn des is so ihr Art, dass se de Krieg in annere Lender spiele. Währenddem des vorgeht, sitzt der Suldan in seinem Diwan und lacht ins Feistsche. Der baßt bloß druf, bis sich ganz Eiroba an de Kepp hot; dann kimmt er. Mir erläwe‘s net, awwer Sie wern sähe, dass ich recht hob‘ in fufzig Johr sinn mer all Derke!“
Jetzt mag man glauben dass dieser Typ Mensch kurz nach dem Biedermeier ausgestorben sei. Unser entfernter Nachbar Gunter, seines Zeichens Baumarktfachangestellter und Hobby-Philosoph belehrt uns immer wieder eines Besseren.
azu ein Beispiel, die Episode spielt kurz nach dem 11. September
2001 und zeigt deutliche Parallelen zum „Datterich“. Ich
möchte mich aber zuvor aufs Heftigste von den zitierten Aussagen
distanzieren.
Dienstag Abend, 22:30 Uhr, ich komme gerade aus dem Fitnesstudio
- dekadent, ich weiß, aber man gönnt sich ja sonst nichts
- jetzt noch eine knappe Stunde in die Badewanne, bewaffnet mit
einigen Drinks und einem leckeren Buch, das Leben kann so schön
sein...
...doch plötzlich geht die mentale Klingel an: Arschlochalarm! Oh Jesus, Gunter auf Abfangkurs, mit seinem Hund, ich mag den Hund.
„Gell, des mit denne Parkplätz, des wird aach immer schlimmer!“
Ok, rund um unser Haus wird gerade schwer gebaut und ich habe die letzten 34 Minuten mit der Suche nach einem Parkplatz verbracht, aber deshalb kann ich dem Kerl doch nicht recht geben...
Das Thema hat sich aber schneller erledigt, als ich reagieren kann. Hessens Antwort auf Gerd Dudenhöfer, hat mit gewohnter Präzision das Thema gewechselt von hessischen Parkplätzen zum nahen Osten in 0,3 Sekunden. Europarekord.
„Des ist sowieso alles so e Sach‘, in Afghanistan, da will der Amerikaner jetzt aach Bodetruppe neischigge. Des hab‘ich grad im Fernseh gesehe. Un ich sach Ihne des wird noch e rischtisch Katastroph.“
Aha, der Gunter hat das Elend der Flüchtlingsströme und die Präzision der amerikanischen Bombenabwürfe analysiert und...
„Da war aach widder der Verbrescher mit dem Turban da im Ferseh, der immer so böse Redde schwingt. Denne geheert all in de Arsch getrete.“
Oha, wohl doch nicht...
„Der Bin Laden und des ganze Islampack (Gunter meinte wohl „Muslime“, aber ihm fiel das richtige Wort nicht ein), des sin doch alles die selwe Ganove. Jetzt hat der Busch ja aach gesacht, dasser bald kaa Geduld mehr hädd. Und wenn dem Ami die Geduld reißt, dann wirft der die Atombomb. Anners kriege mer des Pack ja aach net aus denne ganze Verstegge raus. Aber mit denne Nuklearsprenköpp, da kann mer ja so e ganz Stadt ausradiern. Kabul, grad fort mit.“
„Na ja, aber die Zivilbevölkerung...“ Wie kam ich eigentlich auf die Idee mit rationalen Argumenten das Wort ergreifen zu können? Meinen nächsten Vorstoß würde ich besser planen müssen.
„Der Amerikaner hat des ja schon emal gemacht. Als Reaktion. Uff die Japaner. Damals in Pörl Harbor. Des hatte die ja eigentlich gar net vor, aber dann hawwese als Vergeltung die Bomb uff Nagasaki un Hiroshima geschmisse. Des hat me mal aaner ganz genau erklärt. Die hatte des ja gar net vor, awwer nach Pörl Harbor, wo die Japaner da mit ihre Fluchzeiche da die Schiffe gerammt hawwe...“
Aha, lassen wir uns das mal auf der Zunge zergehen und betrachten die Tatsachen: Die Japaner haben Pearl Harbour angegriffen (zugegebenermaßen ein verabscheungswürdiger Akt) und die Amerikaner haben flotte zwei Jahre danach spontan als Vergeltung Nagasaki mit der fürchterlisten Waffe, die je ein zivilisierter Staat eingesetzt hat, niedergemacht. Interessant ist auch der Vergleich Kamikazeflieger, also das letzte Aufgebot des Tenno, mit den Terrorangriffen auf das World-Trade-Center. Ein gerüttelt Maß an historischer Freiheit, das muss der Neid ihm lassen.
„Der Adolf, der hätt‘ den schon längst im
Sack.“
Oh Sch..., kommt jetzt die Nazikiste?
„Ich hatt‘ ma‘n Onkel, der war son stramme Offizier.
Nach drei Daach hädde se den damals schon gehabbt. Die hädde
net so lang gefackelt wie der Busch, 4 Woche - was hawwe die dem
Bin Laden da für e Zeit gelasse. Ich hätt da glei‘
druffgaache, dann wär‘ da Ruh‘ gewese, des sach ich
Ihne.
Gut die verstegge sich da ja so im Gebirge, awwer mit der Nuklearwaffe,
könnte se‘n krieje. Dummerweise ist da ja noch Israel
ums Eck, weje der Strahlung, wenn die ganze Israelis da net wohne
würde wär des ja viel einfacher. Wärn die vielleicht
uff 'ner Insel oder so...“
Moment, die Idee hatte vor 60 Jahren schon mal jemand. Wie das geendet hat, wissen wir ja alle, gerade in Darmstadt. Am 11. September 1944 wurde im Zuge von Unmutsbekundungen der restlichen Welt meine Heimatstadt in Schutt und Asche gelegt. Aber warum so kleinlich sein...
„Die Kerl da unne sin sowieso all vun de selbe Fraktion,
Der Kerl da mit dem Turban, un de Gadaffi, und der Hussein, des
is ach so‘ Verbrescher. Die hawwe ja aach all Atombombe. Denne
muss mer zuvorkomme. Wenn der Ami da kei anner Schangs mehr sieht,
dann is da Ruh‘ de sach ich Ihne.
Die wolle ja all, das mir hier all de Islam krieje, de steckt so
in denne ihre Köpp. Denne Moslems, denne is ja praktisch des
Islamzeusch in die Wiege geleggt worn. Awwer mir könne se damit
fort bleiwe“.
Wer mir mit etwas anderem „fort bleiwe“ kann, sag‘ ich mal lieber nicht.Zum Glück muss der Hund jetzt müssen und Gunter zieht leise vor sich hin politisierend weiter.
Damals hatte ich noch die Idee, dass Gunter ein bedauernswerter Einzelfall sei, aber dank Herrn Niebergall weiß ich jetzt, dass die „Dummbachs“ dieser Welt uns über alle Zeiten hinweg erhalten bleiben, egal, wie sich die Welt dreht. Manche gehen sogar in die Politik.