Tschernobyl

Wenn es nach der Atomkraftlobby gegangen wäre, wäre die Dallas-Folge in der Bobby Ewing überfahren wird, das einzige Medienereignis Ende April 1986 gewesen. Aber in Tschernobyl in der Sowjetunion war es zu einem Ereignis gekommen, das laut Experten nur einmal in einer Million Jahren stattfinden sollte. Und das schon nach gut 50 Jahren Atomkraftnutzung.

„Der Reaktorunfall in Tschernobyl, der sich diesen Monat zum zwanzigsten Mal jährt, war vielleicht mehr noch als die von mir begonnene Perestroika die wirkliche Ursache für den Zusammenbruch der Sowjetunion fünf Jahre später.“
Michail S. Gorbatschow

Am Freitag, 25. April 1986, 1.00 Uhr wird Reaktor Nr. 4 im Kernkraftwerk Tschernobyl am Fluss Pripiat heruntergefahren. Damit soll getestet werden, ob bei einem Stromausfall die auslaufenden Turbinen die Notkühlung versorgen können.

Das Kernkraftwerk Tschernobyl war russischer Druckröhren-Reaktor mit Siedewasserkühlung und Graphitmoderator. Dies bringt baubedingte Schwächen mit sich. Überhitzt der Reaktor, läuft die Kettenreaktion in den atomaren Brennstäben weiter.

Bei westlichen Reaktoren dient das das Kühlwasser als Moderator. Wird der Reaktor zu heiß verdampft das Kühlwasser und Kettenreaktion hört auf. Aber vor Fehlern durch Menschen ist keine Technik sicher.

Der Test in Tschernobyl wird wegen Strombedarfs dann auf Samstagnacht verschoben.

Samstag fällt die Reaktorleistung auf unter 30 Megawatt. Bei dieser Leistung wird der Reaktor aber instabil.

Die Bedienmannschaft entfernt zum Stabilisieren mehr Brennstäbe als zulässig, schaffte es aber den Reaktor wieder hochzufahren.

Um 1.15 Uhr überbrückt der Versuchsleiter Notabschaltungssignale.

Der geplante Test beginnt um 1.23 Uhr. Die Turbinenventile werden geschlossen. Die Leistung steigt auf mehr als 300.000 MW, die Reaktortemperatur steigt ebenfalls, lässt das Kühlmittel verdampfen, was wiederum die Reaktivität erhöht.

Die Hitze hat die Brennstäbekanäle verformt. Deswegen kann die Mannschaft die Brennstäbe für die nun geplante Notabschaltung nicht schnell genug einfahren.

Um 1.28 Uhr tritt die Katastrophe ein: Die Brennelemente reißen und durch Kühlwasserkontakt zu zwei Dampfexplosionen, die den Reaktor zerstören. Es brennt inzwischen auch. Leider hat der Reaktor keine Schutzkuppel, weswegen die Radioaktivität und strahlende Teilchen in die Umgebung abgegeben wurden.

Nach der Explosion wollte man das Feuer mit Wasser löschen. Durch die Verdampfung wurden noch zusätzliche Teilchen in der Atmosphäre verteilt.

Am 2. Mai 1986 fand im havarierten Reaktor schließlich keine nukleare Kettenreaktion mehr statt, aber im Reaktor brannte es nach verschiedenen Berichten noch bis zu zwei Wochen weiter.

Am 21. April 1987 wurde Block 3 in Tschernobyl wieder ans Netz gebracht.

Die restlichen drei Tschernobyl-Reaktoren wurden am 15. Dezember 2000 schließlich endgültig abgeschaltet.

Am Morgen nach der nächtlichen Explosion des 26. Aprils 1986 kam das Politbüro der KPdSU in Moskau zusammen.

Die Experten und die Regierung hatten zuwenig Informationen über das tatsächliche Katastrophenausmaß.

Regierungskommissionsmitglieder, die Tschernobyl direkt nach der Katastrophe besuchten und im nahen Polesje übernachteten, aßen und tranken dort ganz normal. Und sie trugen auch keine Gasmasken.

So kamen vermutlich am Anfang Informationsdefizite und danach die jahrelang geübte sowjetische Verschweigungspraxis zusammen. So wurde die Katastrophe erstmal verschwiegen. Bis schwedische Messstationen die gestiegenen Radioaktivitätswerte detektierten. Und so erst am folgenden Montag herauskam was tatsächlich passiert war.

In der Sowjetunion wurde die Bevölkerung zehn Tage lang im unsicheren gehalten und nicht über Schutzmaßnahmen informiert.

So fanden Kundgebungen und Paraden zum 1. Mai statt und auch die "Friedensfahrt", ein Radrennen, startete ganz wie geplant im 170km entfernten Kiew.

Zehn Tage nach der Katastrophe kamen Empfehlungen beispielsweise die Fenster zu schließen oder die Schuhe abzutreten.

Im heutigen Weißrussland gingen 70 Prozent der freigesetzten Radioaktivität nieder.

Sehr geschickt wurde die Zahl der Menschen mit Strahlenkrankheit reduziert. So kamen Mitte Mai 1987 rund 10.000 Menschen in die Krankenhäuser. Durch die Erhöhung der Grenzwerte auf das 40 bis 50-fache wurden die meisten wieder gesund. Jedenfalls auf dem Papier.

Verseuchte Lebensmittel wurden einfach weiterhin verkauft. So wurde radioaktives Fleisch im Verhältnis 1:10 mit

unbelasteten Fleisch gemischt, sodass die Grenzwerte wieder unterschritten wurden.

Im Juli 1986 zählte das Zentralkomitee der KPdSU für eine Zwischenbilanz 26 Tote.

Eine WHO-Schätzung im Jahr 2000 zählte Helfer, die an Strahlenschäden starben oder Selbstmord begingen. Dabei kamen 50.000 Tote zusammen.

50.000 bis 100.000 Tote unter den Liquidatoren errechnete das Komittee der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und die Gesellschaft für Strahlenschutz.

Eine Hochrechnung der Russischen Akademie für Wissenschaften kommt weltweit auf 270.000 zusätzliche Krebsfälle. Davon werden rund 90.000 tödlich verlaufen.

Die Zahl der Tschernobyl-Toten schwankt aktuell zwischen 9000 - laut Weltgesundheitsorganisation WHO - und 90.000 - nach Greenpeace-Angaben.

Bei den sogenannten Liquidatoren - die, die den Reaktor damals versiegelten - rechnet man mit rund 4000 Toten. Diese Menschen waren eindeutig unmittelbar einer sehr hohen Strahlung ausgesetzt. Weitere 5000 Tote erwartet man bei den rund 5 Millionen Bewohnern, die nahe dem Reaktor lebten.

Schwierig wird es, wenn es um niedrige Strahlungsdosen geht. Die Auswirkungen kann man nur schwer abschätzen.

Niedrige Dosen gab es aber in fast ganz Europa. Man schätzt, dass 100 Millionen Menschen davon betroffen waren. Und da ist die Wissenschaft uneins wie die wirken, und das Krebsrisiko beeinflussen. Denn man kann sagen, dass bis zu 25 Prozent der Menschen sowieso an Krebs sterben. Und unter der Annahme macht, gemäß den WHO Zahlen, die Zusatzbelastung durch Tschernobyl nicht soviel aus. Jedenfalls für die Statistik.

Man streitet also ob man niedrige Strahlendosen nicht wirken oder ob man die dadurch verusachten Fälle nicht messen kann.

Für die WHO-Studie wurde eine Grenze gezogen unterhalb eine sichere Wirkung ausgeschlossen wurde.

Allerdings kann man sich dann natürlich fragen, warum beim sonstigen Arbeiten mit radioaktiven Material so sehr darauf geachtet wird, das die Menschen Dosimeter tragen und möglichst wenig abbekommen.

Die 800.000 Liquidatoren von 1986 kamen aus der ganzen Sowjetunion, leben heute aber in verschiedenen Staaten.

So gibt es Berichte, dass über 36.000 kasachische Männer nach Tschernobyl zu Räumungsarbeiten abkommandiert waren.

Nach Schätzung eines kasachischen Arztes leben noch rund 7000 von diesen Arbeitern.

15.000 Liquidatoren sind nach ukrainischen Angaben aus dem Jahr 2002 verstorben.

In der Ukraine bekommen rund 17.000 Familien Unterstützung vom Staat, weil der Vater als Liquidator gestorben ist.

Weitere 100.000 ukrainische Liquidatoren bekommen als Frühinvaliden eine Rente.

Ohne Erklärung, welche Menschen unter welchen Bedingungen erfasst wurden und welche Annahmen und Grenzwerte galten, ist eine Aussage zur Tschernobylopferzahl mit Vorsicht zu genießen. Und dann kommt natürlich noch dazu, wer eine Studie herausbringt. Stammt sie beispielsweise von der Atomenergie befürwortenden Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) oder z.B. von der atomkraftablehnenden Organisation Greenpeace, dann sollte man auch dies berücksichtigen.

Dann ist ein größeres Gebiet anscheinend nicht mehr bewohnbar. Über 350.000 Menschen wurden umgesiedelt. Das Gebiet um das Kraftwerk herum wurde Sperrgebiet.

Im Mai 1986 wurde um Tschernobyl eine Sperrzone mit einem 30 km-Radius eingerichtet. Das bedeutet ein Gebiet mit einem Durchmesser von 60 km war gesperrt.

49.000 Bewohner aus vier umliegenden Orten wurden verlegt. Bis Juli evakuierte man um die 100.000 Menschen aus dem 30-Kilometer-Umkreis.

1999 wurde beschlossen, dass im Umkreis von 15 km niemand ständig leben darf. Allerdings kehrten ältere Menschen in den 90ern in ihre Häuser in der Sperrzone zurück.

Seit 2000 plant die ukrainische Regierung Teil des Gebietes um Tschernobyl zu rekultivieren.

Noch im Jahr 2005 gab es zwei Sperrzonen um den Reaktor herum. Die erste hat einen Radius vom 10 km, ist mit einem Zaun versehen und von Soldaten bewacht. Die zweite Zone hat einen 30km-Radius und ist an den Hauptzufahrtswegen bewacht. Ein offizieller Führer begleitet die Besucher und sie bekommen einen Geigerzähler.

In Deutschland liegen um Kernkraftwerke drei Zonen: Zone 1 geht bis zu bis 5 km Entfernung um den Unfallherd. Sie wird für lange Zeit unbewohnbar sein. Zone 2 hat einen Radius von 10 km und Zone 3 liegt in einem 50 km-Radius. Wärend Zone 3 eingeschränkt bewohnbar sein wird, ist Zone 2 für einige Jahre nicht mehr betretbar.

In Deutschland würde beispielsweise der ganze Rhein-Main-Neckar-Raum mit Wiesbaden, Mainz, Frankfurt, Offenbach, Darmstadt, Mannheim und Ludwigshafen im 50km-Radius vom AKW Biblis am Rhein liegen.

 

 

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