Schwere Wahlgeburt 2005

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Aber so richtig rum isses ja eigentlich noch gar nicht.

Die Bundestagswahl 2005 haben am Ende mal wieder alle gewonnen. Die einen weil es nicht so schlimm wurde wie befürchtet und die anderen weil die Konkurrenz abgewählt wurde.
Umfragen

Die Demoskopen, die so fleissig Umfrageergebnisse unter Volk streuten haben sich 2005 deutlich verschätzt.

Aber Umfragen haben immer einen gewissen Fehler, denn man befragt ja selten alle Bürger, sondern nur 1000 bis 2500 Leute.

Und diese werden eigentlich nicht repäsentativ, sondern nur zufällig ausgewählt. Wären die Ausgewählten wirklich repräsentativ zusammengestellt, dann müssten diese 1000 bis 2500 Befragten die (wahlberechtigte) Bundesrepublik in Bezug auf Gehälter, Alter, Land- oder Stadtbewohner, Autobesitzer etc. recht genau abbilden.

Das ist aber nicht der Fall, die Befragten werden zufällig ausgewählt und telefonisch oder von einem Interviewer befragt. Da man recht viele Leute befragt, hofft man, dass die Größe der Stichprobe ein repräsentatives Ergebnis erzeugt.

Die Umfrageergebnisse werden aber nicht 1:1 veröffentlicht. Die Meinungsforscher haben festgestellt, dass nicht jeder - auch anonym - die Wahrheit sagt. Oder zugibt, dass er extreme Parteien wählen würde. Auch sind einige Befragte ganz gerne bei den Siegern dabei, das heißt in einer Umfrage nach der Wahl, sagen diese einfach sie hätten den Wahlsieger gewählt.
Alle diese Fehler kann man, mit einem bekannten Wahlergebnis in Kopf, ein wenig rausrechnen. Man nennt das "Gewichten". An einem ganz einfachen Beispiel kann ich das ja mal vormachen. Denn es gibt eine bundesweite Telefonumfrage, deren Zahlen jeder kennt: Die Zahlen der "TV Total"-Sonderausgabe vor der Bundestagswahl. Stefan Raab hatte die Leute zum Abstimmen aufgerufen und heraus kam folgendes:
SPD - 36,5%
CDU/CSU - 30,2 %
FDP - 13,7 %
GRÜNE - 8,8 %
Linkspartei - 10,8 %

Die Zahlen sind natürlich nicht komplett, denn die Zuschauer hatten ja nicht alle Parteien zur Auswahl.
Das tatsächliche Wahlergebnis vom 18.9.2005 ohne Dresden:
SPD - 34,3
CDU/CSU - 35,2
FDP - 9,8
GRÜNE - 8,1
Linkspartei - 8,7

Beim "Gewichten" könnte man jetzt ganz vereinfacht dargestellt sagen: Aha, die SPD war bei der Umfrage stärker als in Wirklichkeit, also müssen wir die Raabschen Telefonzahlen für die SPD mit 0,94 multipizieren:
36,5?0,97=34,3.
Die CDU war in der Wirklichkeit besser als bei TV Total,
also 30,2?1,17=35,2 etc.

Für die nächste Telefonbefragung hätte nun Stefan Raab den Hinweis, dass die SPD bei ihm zu gut und die CDU zu schlecht abschneidet. Also gewichtet er die erhaltenen Ergebnisse entsprechend.
So einfach wird das mit dem Gewichten hoffentlich nicht sein. Zudem ist das nachträgliche Auswerten der Umfragen, dass die richtigen Ergebnisse vorhersagt, ja das Geschäftsgeheimnis der Meinungsforschungsinstitute.

Da eine Stichprobe aber immer Unsicherheiten hat, geben einige Institute an, wie sehr ihre Prognosen schwanken können.

Je nach Institut können das bei den großen Parteien zwischen 2,5 und 3,1 Prozentpunkten und bei den kleinen Parteien 1,2 bis 2,05 Prozentpunkte sein

Das bedeutet, eine Prognose die der CDU beispielsweise 40 Prozent vorhersagt kann, je nach Institut, bis zu 3,1 Prozentpunkte nach oben oder unten abweichen. Genau genommen müsste man sagen, die CDU könnte 36,9 bis 43,1 Prozent bekommen.

Aber auch für Wahlen gilt: Was zählt, ist auf dem Platz.

Das tatsächliche Wahlergebnis hat seine Bedeutung für Koalitionen, die Kanzlerwahl , die Wahl des Bundestagspräsidenten und Mehrheiten im Parlament.

Bundestagspräsident
Der Bundestagspräsident ist das zweithöchste Amt im Staat, gleich nach dem Bundespräsidenten. Große Entscheidungen treffen kann er nicht, aber das Amt ist natürlich mit Renommee verbunden. Und einem Dienstwagen...

Die stärkste Fraktion stellt, einem Brauch der Weimarer Republik folgend, den Bundestagspräsidenten. Das steht aber in keinem Gesetz und in keiner Geschäftsordnung, es ist halt Tradition. Die anderen Fraktionen stellen die Vizepräsidenten.

Natürlich könnte die Mehrheit im Parlament sich auch alle Vizepräsidenten verschaffen, aber das würde das Klima doch sehr vergiften.

1998 und 2002 war die SPD-Fraktion größer als die Fraktion aus CDU und CSU. Sie stellte deswegen den Bundestagspräsidenten.

2005 hat die SPD nun, wie früher schon öfters, festgestellt, dass die Union ja aus den zwei Parteien CDU und CSU besteht. Und die CDU alleine hat nur 27,8 Prozent. Nur wenn man die CSU aus Bayern mit 7,4 Prozent dazuzählt und CDU/CSU eine "Fraktionsgemeinschaft" bilden, dann ist die Union größer.

Irgednwie stimmt das, aber die CDU gibt es in Bayern ja gar nicht. Gäbe es keine CSU, würde die CDU auch in Bayern antreten.

Jetzt ist aber die Fraktionsgemeinschaft ein alter Hut. Schon im ersten Bundestag gab es die Fraktionsgemeinschaft der Unionsparteien. Aber bis 1969 musste der Bundestag der gemeinschaft immer noch zustimmen. 1969 gab es dann in der Bundestagsgeschäftsordnung mit Zustimmung der SPD, die damals mit der CDU regierte, die "Lex Union": "Die Fraktionen sind Vereinigungen ... der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen."
Durch diese Regelung musste sich die Union nicht mehr jedes Mal die Erlaubnis zur Fraktionsgemeinschaft beim Bundestags abholen, sie konnte gleich gebildet werden. Wenn CDU und CSU das wollen.

Da die Geschäftsordnung des Bundestages mit Mehrheit geändert werden kann, ist es natürlich auch möglich die Möglichkeit zur Fraktionsgemeinschaft zu erschweren.

Nur sehen solche Änderungen der Geschäftsordnung schnell so aus, als wollte man mitten im Spiel die Regeln ändern. Denn wenn es die Fraktionsgemeinschaft so störend gewesen wäre, dann hätte Rot-Grün die ja gleich 1998 abschaffen können.

Wobei es allerdings auch nach Rosinenpickerei aussieht, dass die Union im Bundestag immer als eine Fraktion auftritt und so den Bundestagspräsidenten beanspruchen kann, aber in Fernsehtalkshows dann plötzlich zwei Parteivertreter sitzen.Zumal man ja auch die CSU außerhalb Bayern nicht wählen kann.

Bundeskanzler
Die Wahl des Bundeskanzlers regelt Artikel 63 des Grundgesetzes:
"(1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt."

Für die Wahl des Bundeskanzlers ist es egal, wie groß die Fraktionen sind. Im Grundgesetz steht nur, dass der Bundespräsident einen Kandidaten vorschlägt. Wen er vorschlägt ist egal. Er muss nicht im Bundestag sitzen, seine Partei muss nicht die stärkste sein. Um vom Bundespräsidenten vorgeschlagen zu werden reicht es, eigentlich wenn man den Eindruck erweckt, man würde eine Mehrheit zusammenbekommen. Und die sollte dann am besten auch groß genug sein, um Gesetze wie den Bundeshaushalt beschließen zu können. Es gibt keinen guten Brauch oder eine Tradition, dass die stärkste Partei den Kanzler stellt. 1976 und 1980 war die CDU die stärkste Partei im Bundestag und die SPD stellte den Kanzler. Dank einer Koalition mit der FDP.

"(2) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen."
Das bedeutet man braucht zur Wahl im Bundestag im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit.

"(3) Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen."
Das bedeutet man braucht auch im zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit. Mit dem Vorschlag des Bundespräsidenten muss dieser Kandidat nichts mehr gemein haben.

"(4) Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen."

Wenn die ersten zwei Wahlgänge scheitern, dann reicht eine einfache Mehrheit. Würden aktuell CDU/CSU und FDP zusammen stimmen, auf der anderen Seite SPD und Grüne und die Linkspartei enthielte sich der Stimme, dann kommt der CDU-Kandidat bzw. die Kandidatin durch. Denn FDP und CDU/CSU haben mehr Sitze als SPD und Grüne.

Da aber ein mit einfacher Mehrheit gewählter Bundeskanzler im Zweifelsfall keine absolute Mehrheit hat, um Gesetze zu beschließen, bekommt der Bundespräsident die Möglichkeit den Bundestag aufzulösen und so Bundestagswahlen herbeizuführen.

Was natürlich auch einen gewissen Beigeschmack hat, denn dann könnte man ja auf die Idee kommen, die Parteien hätten lieber ein anderes Volk.

 

Dieses Thema der Woche (und viele andere vorher) wurde von dem bundesweit bekannte Blogger Wicki Weisswas verfasst (www. curious-creatures.de).



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