Der 9. November, nicht nur 1989

Ein deutscher Tag

Und wenn man ins Geschichtsbuch schaut, dann finden sich für den 9. November zahlreiche Daten, die sich mit geschichtträchtigen Ereignissen verbinden lassen.

1848 wurde Robert Blum, ein Politiker der deutschen Märzrevolution, standrechtlich erschossen. Die Märzrevolution war Teil europaweiter Revolutionen und Aufstände 1848 gegen die fürstliche Macht. Man darf nicht vergessen, die französische Revolution von 1789 war knapp 50 Jahre her,

Die Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit („Liberté, Egalité, Fraternité“) waren – wenn auch erst später so griffig formuliert – noch neu und in den Köpfen des aufstrebenden Bürgertums. Und wieso sollten Fürsten absolut regieren, die zuvor (naja, zumindest bis 1815) von Napoleon besiegt worden waren?

1848 kam es also infolge von Unruhen in Italien und Frankreich auch im vielstaatigen Deutschland zu Revolutionen, einige Fürsten lenkten rasch ein und schufen Verfassungen. Allerdings verlor die Revolution an Schwung, zudem wollten die Fürsten kein einiges Deutschland wie die Revolutionäre.

Robert Blum war einer der führenden Köpfe der damals erstmals freigewählten deutschen Nationalversammlung, die in der Frankfurter Paulskirche tagte. Zur Unterstützung der Oktoberrevoltion in Wien reist er nach Österreich, wurde aber nach der fürstlichen Rückeroberung Wiens standrechtlich erschossen.

1918 rief Philipp Scheidemann die deutsche Republik aus.

Um zu verhindern, dass aufständische Matrosen und Soldaten den Kaiser stürzen verkündete zuvor Reichskanzler Prinz Max von Baden die Abdankung des Kaisers. Die Regierung übernahm der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert.

Und damit auch alles seine Ordnung hatte rief der SPD-Fraktionsvorsitzende im Reichstag Philipp Scheidemann die deutsche Republik aus.

Eigentlich wurden zwei Republiken ausgerufen: Eine von Philipp Scheidemann (Republik) und eine Karl Liebknecht (Räterepublik). Das war natürlich nicht das gleiche, denn Scheidemann war Sozialdemokrat und Liebknecht Vorsitzender des Spartakusbundes bzw. Kommunist.

Letztendlich war Scheidemann ein wenig schneller, denn er hatte von Liebknechts Plänen erfahren. Die Ausrufung fand von einem Fenster des Reichstags in Berlin aus statt. Es gibt auch ein Tondokument, aber das ist von Philipp Scheidemann nachgesprochen worden.

1923 kam es am 9.11. zum Hitler-Putsch. Zuvor war die Lage in Deutzschland sehr unklar geworden. Das Ruhrgebiet war von Frankreich besetzt, in Aachen wurde eine „Rheinische Republik“ ausgerufe, die sich unter französisches Protektorat stellte. In Sachsen und Thüringen bereitete die Kommunistische Partei Deutschlands Aufstände vor, die durch die Reichwehr gestoppt wurden. In Bayern regierten Konservative, die sich gegen die linken Regierungen in Berlin stellten.

Am 8. November 1923 gab es im Münchener Bürgerbräu-Keller eine Versammlung mit der bayrischen Landesregierung. Hitler und Ludendorff nutzten die Gelegenheit, enterten die Bühne und zwangen die Landesregierung eine provisorische Regierung auszurufen und die Berliner Reichregierung für abgesetzt zu erklären.

Am 9. November sollte der Hitler-Putsch mit einem Marsch durch München abgeschlossen werden. Die Bayerische Polizei stoppte die Aktion an der Feldherrnhalle am Odeonsplatz. Ludendorff wurde festgenommen, Hitler konnte vorerst entkommen. 1924 wurden die Putschisten verurteilt, aber die „harten“ Strafen waren tatsächlich eher lasch und kurz.

Hitler konnte in der „Festungshaft“ sein Buch „Mein Kampf“ schreiben, Erich Ludendorff wurde 1924 Reichtagsabgeordneter und 1925 Kandidat der NSDAP für das Reichspräsidentenamt.

1938 waren die Nazis fünf Jahre an der Macht und setzen ihre Pläne um. Am 7. November 1938 erschoss Herschel Grynszpan in Paris den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath. Die Nazis nutzten das zu „spontanen Kundgebungen“ an denen am 9. November sehr gut organisiert jüdische Friedhöfe geschändet und Geschäfte und Wohnungen jüdischer Inhaber zerstört wurden. Genauso „spontan“ brannten Synagogen und die Feuerwehren standen daneben.

Der dafür verwendete Begriff „Reichskristallnacht“ ist ein ziemlich zynischer Nazi-Terminus und sollte eigentlich nicht benutzt werden.

1974 stirbt am 9.11. der RAF-Terrorist Holger Meins an den Folgen eines Hungerstreiks. RAF war die Abkürzung für die linksterroristische „Rote Armee Fraktion“. Die RAF hielt - besonders 1977 - durch Attentate auf Staat und Wirtschaft die Republik in Atem. Der Hungertod fiel eher zufällig auf den Tag und sollte daher nicht überinterpretiert werden. Allerdings ist die RAF Teil der bundesrepublikanischen Geschichte.

1989 wurden die Reisebeschränkungen für Bürger der DDR aufgehoben. Durch einen Kommunikationfehler wurde das zu früh verkündet und die Granzbeamten der DDR hatten keinen Handlungsanweisungen.

Bis zu dem Tag stand die Bonner Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl schlecht da: Die Umfragen waren im im Keller. Kohl hatte einen schlecht vorbereiteten „Putschversuch” seiner CDU-Partei„freunde“ auf dem Parteitag am 11. September 1989 gerade überstanden. Und die zahlreichen Kohl-Witze dokumentierten, dass der Kanzler eher Fettnäpfchen durchschritt als erfolgreiche Zeiten. Aber nach dem 9. November waren von einem auf den anderen Tag die Kohl-Witze ausgestorben. Der letzte Kohlwitz in meiner Erinnerung war:

Kabinettsitzung der Bundesregierung, aber alle kommen zu spät wegen eines Stromausfalls. Und jeder hat eine andere Entschuldigung. Außenminister Genscher: „Der Flughafen war wie gelähmt und meine Maschine konnte nicht rechtzeitig landen.“ Verteidigungsminster Stoltenberg: „Alle Ampeln waren ausgefallen, es ging nichts mehr.“ Bundeskanzler Helmut Kohl: „Ja, das war wirklich blöd, als der Strom ausfiel, stand ich im Kaufhaus auf der Rolltreppeund kam nicht weiter.“

Mit dem 9.11.89 waren zahlreiche Gemeinschaftskunde-Abitur-Arbeiten zur Frage „Wann rechen Sie mit dem Fall der Berliner Mauer?“ schlagartig überprüfbar geworden. Gut, dass die mindestens 10 Jahre unter Verschluss liegen mussten.

Aber es hatten sich ja viele verschätzt. Zwei Jahre zuvor wurde dem starken Mann der DDR, Erich Honecker, noch ein Staatsbesuch in (West-) Deutschland bereitet. Und bis Mai 1989 war es auch in DDR für uns im Westen eher ruhig.

Dann aber hatte die DDR-Führung die Kommunalwahlergebnisse vom 7. Mai - wie üblich – optimiert. Aber diesmal wohl zu offensichtlich und damit einige Empörung in der Bevölkerung ausgelöst.

Und ein Ereignis in Ungarn hatte man auch noch nicht so wahrgenommen: Am 2. Mai fing Ungarn an seine seiner Grenzsperren nach Österreich abzubauen. Man vermutete, dass das ein paar DDR-Bürger zum „rübermachen“nutzen könnten, aber mal eben nach Ungarn fahren ging ja auch nicht.

Die existenzgefährdende DDR-Erosion kam dann aber drei Monate später. Am 19. August 1989 fand an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn das „Paneuropäische Picknick“ statt. Denn die Grenzanlagen waren ja abgebaut. Zirka 600 DDR-Bürger nutzten das Picknick zur Flucht nach Österreich. Dass der „Eiserne Vorhang“ an dieser Stelle offen war, war nun offensichtlich geworden. Nur wie sollte die DDR reagieren. Bislang durfte man nicht ohne weiteres in den Westen reisen, aber ein urlaub in den sozialistischen Bruderstaaten war möglich. Ausreiseverbote nach Ungarn?

Und dann kamen die Flüchtlinge in der Prager Botschaft, die Montagsdemonstrationen und der Rest ist Geschichte.

Dass die Wahl des Tag der Deutschen Einheit schließlich auf den 3. Oktober 1990 fiel, hat vermutlich eher damit zu tun, dass Helmut Kohl die Vereinigung noch vor dem 41. Geburtstag der DDR am 7. Oktober durchziehen wollte. Und dass der 9. November auf den ersten Blick etwas zu kompliziert erschien.

Dass der langjährige Kohl-Rivale und bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß am 3.10.88 an einem Herzinfarkt starb, wird es wohl nicht gewesen sein.

 

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