Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Jahreswechsel

Hatten Sie eine schöne Silvesterfeier? Waren Sie vielleicht sogar mit lieben Menschen in einem exquisiten Restaurant, um das Jahr 2002 genussvoll ausklingen zu lassen? Schön für Sie. Wir hatten dass auch vor, es kam aber dann doch ganz anders.

Wir wollten die letzten Stunden des Jahres in heiterer Atmosphäre verbringen und ein letztes Mal besinnungslose Mengen von Kalorien in uns hineinschaufeln, bevor unsere guten Vorsätze uns dies verbieten würden. Zu diesem Zweck wählten wir ein italienisches Restaurant aus. Die Italiener sind ja bekanntlich allesamt Meister der Kochkunst, also eigentlich ein gewonnenes Spiel.

Das Restaurant befand sich in einer Stadt in Norddeutschland (man wünschte ungenannt zu bleiben, wohl um Besucheranstürme zu verhindern), in der wir unseren Urlaub verbrachten. (Darmstadt ist an Silvester nämlich nicht unbedingt der Hammer.)

Im letzten Jahr waren wir gezwungen Silvester in einer Dönerbude in Oldenburg zu feiern. Um einen ähnlichen Zwischenfall zu vermeiden, hatten wir schon zwei Tage vor dem Tag X einen Tisch für zwei reserviert. "Frühbuchen" nennt man das wohl, Rabatte gab es aber nicht.

Als wir dann am Silvesterabend pünktlich einliefen, konnte sich leider keiner im Restaurant an eine Reservierung erinnern. Zustände wie bei der Bahn. Der geschäftsmäßig gastfreundliche Chef schuf allerdings kurzerhand den notwendigen Sitzplatz, indem er ein kaltes Buffet umzog und uns so einen netten Tisch direkt neben der Eingangstür freimachte.

Da wir wie gesagt ein letztes Mal der Völlerei huldigen wollten, bestellten wir zuerst "Antipasti gemischt" - die standen als "Empfehlung der Woche" auf der Karte. Die Bedienung erschrak bei unserer Order und rannte mit den Worten: "Da musse isch erst fragen..." in die Küche. Nachdem der Koch sie überzeugt hatte, dass zwei Portionen Vorspeise ihn nicht wirklich überforderten, kam sie zurück und wir durften unsere Bestellung vollenden.

Der Wein kam in einer folkloristischen Karaffe mit der Auschrift eines anderen Lokals. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Kurz darauf erhielten wir dann eine wahrhaft verführerische Auswahl kalter Vorspeisen, die uns in kulinarisches Entzücken versetzte.
Ich hatte meine Portion fast geschafft, meine Partnerin, die nicht von ähnlicher Gier getreiben wurde, lag noch im ersten Drittel, als auch schon das Hauptgericht auf den Tisch kam.

"Tut mir leid, is heut bisschen fix gegange."

Na, wenn's denn sein sollte... Ich schlang meinen letzten gefüllten Champignon hinunter und beruhigte meine Begleiterin ein wenig, die ob solch plumper Timingprobleme drauf und dran war, der Kellnerin etwas anzutun, das unserem Ruf mit Sicherheit abträglich sein würde.
Diese Kellnerin brachte in der Zwischenzeit zwar andere Gäste an einen Tisch, meine mit Spannung erwarteten Beilagen aber nicht an unseren. Auf meine Reklamation hin erhielt ich einen Salat mit den beruhigenden Worten: "Salat isse schon fertisch, Pommes dauert noch bisschen."
Sie war nicht wenig verblüfft, als ich ihr meinen Teller aufnötigte, auf dass sie ihn in die Küche zum Warmhalten bringe. Klingt vielleicht spießig, aber ich ziehe es dreisterweise vor, meine Mahlzeiten en bloc zu verzehren. Nach wenigen Minuten erhielt ich tatsächlich ein komplettes Hauptgericht zurück.

Da wir uns des Gefühls nicht erwehren konnten, man wolle uns möglichst schnell loswerden, begannen wir vorsichtshalber eine längere Speisenfolge zu planen, als plötzlich die Tür aufging und ein dicker Mann mit Gitarre hereinplatzte. Es handelte sich um einen notorischen Alleinunterhalter, der für diesen Abend gebucht war. Er stellte sich lautstark als "Mambo Kalle" (Name aus Pietätsgründen geändert) aus Brunsbüttel vor und kündigte an, nun sein komplettes Equipment hereinzubringen. Sechs Transportgänge später hatte er seine Ausrüstung komplett und wir mittlere Erfrierungen (unser Tisch lag direkt neben der Tür, Sie erinnern sich?).

Nach Fertigstellung des Aufbaus sprach er einige wärmende Worte und begann deutsch-italienische Schlager der späten Fünziger im Stile von "Ciao, ciao, Bambina" zu schmettern. Überflüssig zu erwähnen, dass seine Lautsprecher nur etwa einen Meter neben unserem Tisch standen. Zwischen den Liedern kündigte er immer wieder "Damenwahl" an. Die Damen verzichteten aber geschlossen auf ihr Wahlrecht und blieben lieber hinter ihren Tellern sitzen.

Ein wenig Ruhe kehrte erst ein, als er seine tariflich zugesicherte Pause einlegte und eine CD einschob. Ich bin kein großer David Hasselhoff-Fan, aber es war komischerweise erträglich.

Wir hatten zwischenzeitlich unser Hauptgericht und die Reste der Vorspeise hinter uns gebracht und planten nun als krönenden Abschluss, ein Dessert zu uns zu nehmen. Als wir noch einmal die Speisekarte bringen ließen wurden uns auch umgehend das ganz frische Tiramisu angeboten. Wir entdeckten es auch auf der Karte sowie eine Eisspezialität und eine geheimnisvolle Komposition namens "Giannis Fantasie Dessert". Als ich nach diesem Dessert fragte erhielt ich die Antwort: "Das is eine Fantasie von Gianni." Mein Gott, etwa Ketten, Peitschen, schwarzes Leder... das wollte ich sehen und bestellte.

Es handelte sich aber enttäuschenderweise einfach um eine Kombination der beiden anderen Desserts, üppig mit Kakaopulver bepudert. Meine liebes aber bissweilen zynisches Weib kostete ein wenig Tiramisu und konstatierte: "Frisch stimmt: frisch aufgetaut."

Tatsächlich war das normalerweise lockercremigzarte Dessert eiskalt und dadurch in seiner Konsistenz recht nahe an einem Stück Butter. Die üblichen Mascarpone-Eischnee-Sahne-Inhalte schmeichelten daher irgendwie nicht wie gewohnt auf der Zunge. Aber wir waren tapfer und putzten es ohne Murren weg. Zwischenzeitlich hatte der Wirt noch persönlich zum Mikrofon gegriffen und einige Lieder aus seiner sonnigen Heimat zum Besten gegeben - er konnte wenigstens Italienisch.

Danach verlangte uns heftig nach einem Espresso. Der entsprechend instruierte Kellner entschwand auch umgehend hinter die Theke und wurde nicht mehr gesehen. Etwa 10 Minuten später kam er wieder, steuerte auf seinen Chef zu und flüsterte ihm die grausamen Worte ins Ohr: "Cheffe, da is Fehler bei die Macchina."

Ein Fehler bei der Espressomaschine, wahrscheinlich war es der beliebte "Error 404 - coffee not found". Denn als der Chef persönlich in die Küche ging hatten wir in Windeseile unseren Kaffee auf dem Tisch.

"Mambo-Kalle" hatte mittlerweile seine zweite Pause eingelegt und uns weitere Absonderlichkeiten von CD beschert, als sein Handy klingelte. Da die Konserven-Musik zum Telefonieren eindeutig zu laut war, setzte er sich auf sein Hockerchen, drehte seine Anlage leiser und telefonierte - bei eingeschaltetem Mikro. So durften wir alle erfahren, dass seine Kumpels gerade Silvester feierten. Immerhin hatten die wenigstens ihren Spaß.Irgendwann war dann kurz vor Mitternacht und wir gingen nach einem undefinierbaren Abschiedsschnaps auf den Marktplatz um das Feuerwerk zu bestaunen. Ich bin ja Anhänger der Aktion "Brot statt Böller", aber lassen wir uns nichts vormachen: Brot fliegt nicht sehr hoch und leuchtet auch nicht besonders hübsch.

 

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