Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Gans seltsam ...


Kurz vor letztem Heiligenabend ging bei uns wieder das Rätseln los, was den zum Fest auf den Tisch kommen sollte. Unsere Traditionen halten normalerweise nur ein Jahr, daher galt es wieder einmal ein Menü zu kreieren, das im Gegensatz zu den Vorgängern das Zeug dazu hat, ein zweitesmal Weihnachten zu erleben.

Unsere Wahl fiel auf einen Klassiker: Gans.

Niemand aus meiner Familie inklusive meiner Oma, die so ziemlich jedes Tier bravourös zuzubereiten verstand hatte sich je an das Großgeflügel gewagt. Eine echte Pioniertat also.
Ich bestellte rechtzeitig ein Tier bei meinem Lieblingsgeflügelmetzger. Dort versicherte man mir, dass man nur glückliche Vögel verkaufe, die sich durch sanfte Berieselung mit Bundestagsdebatten schmerzfrei zu Tode gelangweilt hatte. Perfekt. Ich könne das küchenfertige Tier rechtzeitig zum Fest abholen.

Ich holte das küchenfertige Tier rechtzeitig zum Fest ab.

Unter "küchenfertig" verstand ich bis zu diesem Zeitpunkt, dass nur noch kleinere chirurgische Eingriffe am Bratgut vorzunehmen wären um Bratfertigkeit herzustellen. Heute bin ich schlauer.
Da wir über keinerlei überlieferte Rezepturen verfügten waren wir gezwungen im Internet zu recherchiern, was wir beim Stand ca 40.000 unterschiedlichen Zubereitungstipps aufgaben und aus den ersten 10 Treffer die Gemeinsamkeiten herausfilterten.

Unser Kenntnisstand nach dieser Aktion: Gans kaufen, Gans füllen, Gans braten, Gans essen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Reihenfolge.

Beim "Gans füllen" stießen wir schon auf das erste Problem: Die Gans war gar nicht hohl.

Ich dachte wie gesagt, "küchenfertig" hieß, das Tier wäre tot und die Innereien fachmännisch entsorgt, bzw. essbare Bestandteile zur weiteren Verwendung in einem Beutelchen beigelegt.

Erst vorsichtige Untersuchungen ergaben, dass ein Großteil der inneren Organe noch da waren wo eine lebende Gans etwas mit ihnen anfangen könnte. Da ich aber keine lebende Gans bin war das ein Problem. Ohne Obduktion war da nix zu machen. Ein ersten Quincy-mäßige Leichenschau ergab: Herz noch da, Leber noch da, Hals noch dran, diverse Federkkiele waren zu entfernen und Fett abzusaugen.

Das Bürzelfett stellte die einfachste Aufgabe da ein schneller Schnitt mit dem Küchenmesser und weg war das Zeug. Dieses Fett schmeckt übrigens eher tranig, also keine chter Verlust.

Ein Griff in die Tiefe der Gans ergab, dass die Leber noch ziemlich lose und das Herz noch eher fest im Körper hing. Also rausschnippeln, ohne allzu große Sauerei anzurichten. Und das mit nur einer Hand, zwei passten beim besten Willen nicht durch die Hinteröffnung des Vogels. Wissen sie eigentlich wie tief so eine Gans ist?

Die Leber war schnell entfernt, das Herz fühlte sich so seltsam glibberig an, dass ich Angst hatte zu fest zuzupacken. Mehrere Minuten zagte ich also in dem Vogel herum, bis mir die Idee kam, von der anderen Seite leichter an das Organ zu kommen. Die nächste Möglichkeit wäre dann eine Thoraxöffnung gewesen, aber das sollte eigentlich erst beim Festmahl geschehen.

Ich zog meinen noch bis über den Ellenbogen in der Gans befindlichen Arm mit einem sonoren Schmatzen aus dem Tier und begann mir einen Weg von der anderen Richtung zu bahnen. Das bedeutete erst einmal den Hals zu entfernen. Ein geschickter Schnitt...noch ein geschickter Schnitt...jetzt aber ein richtig geschickter Schnitt... Der Hals war noch dran. Ein Gänsehals besteht aus folgendem: glitschiger Haut, einer robusten Halswirbelsäule und einer Luftröhre.
Die Luftröhre hat Aussehen, Konsistenz und wahrscheinlich auch Geschmack eines Staubsaugerschlauches. Mit handelsüblichen Mitteln war da nix zu machen. Erst ein Brotmesser brachte den gewünschten Erfolg. Der Hals war nahe der Schultern (sagt man das so?) abgetrennt. Scharfrichter wäre entschieden kein Beruf für mich.

Jetzt befand sich aber immer noch ein Rest Luftröhre im Körper, und die musste auch noch weg. Nicht auszudenken, wenn jemand aus Versehen dies unappetitliche Knorpelgewebe auf seinem Teller fände. Das Brotmesser tat wieder gute Dienste und ich metzelte auch nur ganz wenig Teile weg, die später noch gebraucht würden. Voila, der Weg zum Herz war frei.

Jetzt konnte ich versuchen, von einer Seite in die Gans zu fassen und das Herz fest zu halten und von der anderen Seite mit einem scharfen Messer das Organ zu lösen. Das sah dann kurzzeitig etwa so aus, als hätte jemand bei der Produktion eines Daunen-Muffs die falschen Teile der Gans verwendet. Aber das Herz löste sich brav aus der Verankerung und wir hatten endlich einen gebrauchsfähigen Vogel vor uns liegen.

Jetzt wurde die Leibeshöhle mit leckeren aromatischen Kräutern und Meersalz gefüllt - Ähnlichkeiten mit ägyptischen Bestattungstechniken sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. (Die entnommenen Organe haben wir in kleine Kanopen getrennt bestattet. Wiedergeburt und so, man weiß ja nie.)

Danach fiel mir ein, dass ich besser noch die Federkiele entfernen sollte, bevor wir mit der Hitzebehandlung beginnen würden. In so einer Gans stecken bemerkenswert viele Federn. Mit Hilfe einer Flachzange gelang es mir auch einen Großteil davon zu extrahieren, den Rest würde die Oberhitze übernehmen - hoffte ich. Anssonsten würde der "Essgenuss" eher einem Biss in ein Kopfkissen ähneln.

Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, dass die meisten Rezepte von Menschen verfasst werden, die keine Ahnung haben, wie schwierig Kochen ist? Aber diese Besserwisser kommen dann auf die Idee, man könne ein totes Tier noch "dressieren" - wohl ein wenig zu spät würde ich sagen. Ich habe eine kurze Nummer mit einem Feuerreifen probiert - ohne Erfolg.

Wir punktierten vorschriftsgemäß das Unterhautfettgewebe und bereiteten einige Pfund Wurzelgemüse als Grabbeigaben für die standesgemäße Feuerbestattung des dahingeschiedenen Tieres vor...Friedhof der Brutzeltiere.
Das Braten ging dann ganz leicht. So wie Sonnenbank. Gans in den Ofen und wenn sie schön braun ist wieder rausnehmen und keine Angst vor UV-Strahlen. Die Zwischenzeit kann man dazu nutzen, panisch durch die Küche zu rennen und die Beilagen fertigzustellen.

Als alles fertig war (wir eingeschlossen) kamen auch schon die Gäste. Eines kann man sagen: Das Hallo beim Anblick des fertigen Vogels war groß. Mit Bratwurst erreicht man diesen Effekt nicht.

Jetzt kam noch die letzte Prüfung: Das Tranchieren. Ich bin ja gewohneitsmäßiger Esser, daher erschien mir das Zerlegen eines essbaren Tieres nicht besonders erklärungsbedürftig. Zwei Keulen, Zwei Brüste und...ja...der Rest irgendwie. Die meisten dieser Teile hatte ich im Laufe des Nachmittages ja schon in der Hand gehabt. Aber es war doch aufwändiger als gedacht. Die Anatomie des Vogels spielte mir manch dreisten Streich. Es gab irgendwie mehr Knochen als ich geglaubt hatte und die geplanten eleganten Schnitte gerieten auch nicht so richtig. Zum Glück hatte ich keine allzu guten Klamotten an und die Tischdecke kann man ja kochen.

Aber die Gänsebrocken die dann auf den Tellern landeten schmeckten wahrhaft fein. Größentechnisch eher GooseMcNuggets, aber lecker. Die Soße war gut aber zu wenig (das geht mir immer so, egal was ich koche. Oma hatte immer literweise Soße und ich muss noch Ketchup auf den Tisch stellen.) Die Beilagen waren gelungen und fast gar nicht zerkocht. Und der Wein hatte die richtige Temperatur und Aggregatzustand.

Alles in allem ein gelungenes Mahl. Aber ehrlich, Preis-Leitungsverhältnistechnisch ist so eine Gans Nepp. Für die selbe Kohle bekommt man so ziemlich alles was man sich vorstellen kann. Und das macht dann auch noch weniger Arbeit und ist weniger peinlich. Zwei Drittel der Gans wandert dann noch als Restmüll in die Tonne. Es war frustrierend eine fast komplette Karkasse ohne verwertbare Nährstoffe auf dem Tisch liegen zu haben, die aber Bruttogewichtsmäßig teuer bezahlt war. Und die Luftröhre wurde ja auch mitgewogen.

Dieses Jahr gibt's Gans light: Brust und Keule. Praktisch rein Netto. Und keine Luftröhre weit und breit.

Frohes Fest und fette Beute.

 

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