Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.
Beim Italiener eine Geschichte in mehreren Akten
Nach unserem Romurlaub wollten wir erstmal gepflegt zum Italiener gehen. Wo kann man besser italienisch Essen, als in Südhessen? Vielleicht noch in Palermo...obwohl...eher nicht.
In Darmstadt haben wir einen Italiener, den man wohl als den typischsten von allen einstufen kann. Das Essen ist wirklich erstklassig: Pizza aus dem Holzofen, super Pasta und eine richtig gute Tageskarte. Aber...
Dieses "Aber" ist es das das Restaurant so typisch macht:
Bei diesem Italiener darf man nie bei Regen einkehren. Regen irritiert
einen Italiener, er verliert schlagartig seinen kompletten Charme
und seinen professionellen Überblick. Bei Regen bricht die
Hölle los.
Unser erster Besuch fand an einem Sommerabend statt. Nachmittags
hatte es ein wenig genieselt, aber es war schon wieder trocken -
seit Stunden. Trotzdem war der angeschlossene Biergarten abgesperrt.
Zum drinnen sitzen war es eigentlich zu schön aber wir wurden
aufgeklärt: "Bei Rägen bediene wir nichte draussen."
Klar, in Bella Italia regnet es nie, daher ist dieser Zustand einfach
nicht innerhalb des Ereignishorizontes eines italienischen Gastronomen.
Das brachte natürlich leichte logistische Engpässe mit sich. Da die Gäste die sich normalerweise auf drinnen und draussen verteilt hätten, nun geschlossen drinnen saßen wurde es eng. Wir fanden aber noch Platz, da uns ein nettes Paar einlud, den Tisch mit Ihnen zu teilen. Die beiden waren auch zum ersten Mal hier, butige Laien genau wie wir. Die Speisekarten wurden gebracht, wir trafen unser Wahl, ein Kellner kam, nahm die Bestellung auf soweit alles o.k.
Nach überraschend kurzer Zeit bekamen wir auch unsere 3 Pizzen. Überraschend vor allem ,weil 4 Pizzen bestellt waren und unsere Vorspeisen komplett ignoriert wurden. Gut, die andere Dame am Tisch bekam ihren Salat, dafür keine Pizza. Ihr Mann bekam eine Pizza, die er aber nicht bestellt hatte.
"Ich hatte eine Pizza mit Spinat und Pepperoniwurst."
"Uno momento." Der Kellner verschwand und taucht kurz darauf mit derselben Pizza wieder auf.
"Spinat isse leider aus, aber diese Pizza ist auch lecker."
Unser Tischnachbar war gesund verblüfft wegen dieser Eigenmächtigkeit
und verlangte noch einmal die Karte um erneut zu wählen.
Nachdem er die Karte eingehend studiert hatte rief er den Kellner
unt bestellte eine Pizza "Nonna".
"Aber die Pizza die isch gebracht habbe war eine Pizza Nonna", erklärte der leicht genervte Kellner.
"Mag sein, aber jetzt habe ICH entschieden."
Bis der minimal mordlüsterne Kellner eine frische "Pizza
Nonna" brachte, hatten wir genug Zeit miteinander zu erötern,
wo man an diesem Abend besser hingegangen wäre.
An anderen Tischen herrschte seltsamerweise völlig entspannte
Atmosphäre, entweder lief da alles perfekt oder die Gäste
waren auf solche Zwischenfälle vorbereitet oder sie hatten
einfach schon mehr getrunken. wie ich beobachten konnte schäkerte
der Kellner an anderen Tischen mit den Gästen, machte charmante
Witze, wischte gekonnt Krümel vom Tisch. Bei uns ließ
sich niemand blicken. Winken half nicht, leises Rufen blieb ohne
Wirkung. Erst, als ich ihm die King-Size-Pfeffermühle zwischen
die Beine warf, konnte ich seine Aufmerksamkeit lange genug fesseln
um die Rechnung zu ordern.
Er nötigte sich noch ein gequältes: "'spresso?", ab. Das kommentierte unser Tischnachbar allerdings mit: "Gerne. Gegenüber im Café."
Als ich dann die Dreistigkeit besaß zu bemerken, dass ich unsere Vorspeise erstmals auf der Rechnung erblickte, war er vollendst fassungslos."
"Warum du nix sage?"
"Habe ich: Bei der Bestellung sagte ich, dass ich gerne eine hätte. Und das nächste Mal, das Sie an unseren Tisch kamen brachten Sie ja schon die Hauptgänge, damit war die Vorspeise irgendwie überflüssig, oder?"
Diese Logik entging ihm, nicht aber, dass er von beiden Parteien kein Trinkgeld erhielt.
Unser nächster Besuch fand im Kreise von einigen Freunden statt und war ein Abend voller Spaß und vieler kulinarischer Feinheiten. Es hatte auch nicht geregnet.
Der dritte Anlauf fand dann wieder im Sommer statt. Wir waren
mit einem Freund dort. Ein wunderbarer lauer Abend, wir fanden aber
trotzdem noch einen Sitzplatz im Freien. Unverschämtes Glück.
Wir bestellten, erhielten prompt die Getränke. Als der Kellner
gerade unserer Salate aus der Küche brachte geschah das Unfassbare:
ein Regentropfen. Vielleicht auch zwei. Aber der Himmel war noch
blau und wir saßen alle unter großen Sonnnenschirmen,
was sollte also passieren? Ca. 2 cm vor der Tischoberfläche
wurde mein Salat wieder zurückgezogen und die komplette Restaurantbesatzung
begann mit der planmäßigen Evakuierung der Terasse. Wäre
das auf der Titanic auch so gelaufen, hätte es kein einziges
Opfer gegeben.
Alle Gäste wurden genötigt, nach drinnen zu gehen. Selbst
die, die ihre Teller schon halb geleert hatten und sich weinend
an die Tische klammerten. Die Stimmung war von nennen wir es mal
"Verwirrung" geprägt. Menschen, denen man ihr Essen
wegnimmt reagieren normalerweise etwas verblüfft.
Dummerweise hatte die Belegschaft eine Kleinigkeit vergessen: Da man die Gäste ja auf die Terasse lotsen wollte, war eine Hälfte des Innenraums durch Blumenkübel blockiert und konnte nicht ohne weiteres benutzt werden. Also kam es zum - um beim "Titanic"- Vergleich zu bleiben - Rettungsbooteffekt. Unschöne Szenen spielten sich beim Kampf um die wenigen Sitzplätze ab. Wir hatten einen leichten Vorteil: Da wir keine Teller transportieren mussten konnten wir uns gegen die meisten Gäste durchstzen und fanden ziemlich schnell einen Sitzplatz. Nach knapp einer Viertelstunde waren die Alten und Schwachen ausgemendelt und die Glücklichen die einen Platz gefunden hatten konnten mit dem Projekt "netter Abend" fortfahren. Leider hatte bei dem hektischen Umzug die ein oder andere Nudel ihren Weg auf das ein oder andere Kleidungsstück gefunden. Viele Damen liefen, kaum hatten sie ihren Platz erobert, gleich wieder zum Waschraum um zu retten, was zu retten war. Dort müssen sich dann dramatische Szenen vor den Waschbecken abgespielt haben. Leider gab es keine Blaskapelle wie auf der Titanic.
Kenner der Szene ahnen natürlich: Beim neu Mischen ging natürlich die Zuordnung der Gäste zu ihren Tischnummern verloren. Unter den Kellner brach dezente Panik aus. Die Küche lieferte fröhlich das Essen aus und keiner wusste wohin damit. Unter den Gäste wandelte sich anfängliche Schadenfreude langsam in Futterneid. Ich sah meinen Salat, den ich schon sicher unter meiner Gabel gewähnt hatte auf der Theke einem ungewissen Schicksal entgegenwelken. Diverse frisch gezapfte Biere wurden langsam so schal, dass man sie sich im Winter um den Hals hängen konnte. Pizzen...wenn ich an die Pizzen denke kommen mir heute noch die Tränen...welche Verschwendung.
Als die Situation wieder unter Kontrolle schien ergaben sich neue Komplikationen: Es kamen Gäste. Interessanterweise hatte niemand daran gedacht die Blumenkübelblockade zu entfernen. Es wurde eng. Richtig eng.
Als an den Tisch neben uns noch eine weitere Dame dazukam, wurden
wir gebeten, doch ein wenig mit unserem Tisch zu rücken. So
knappe 50 cm, mit einem vollbeladenen Tisch.
"Für so eine scheene Frau, machte man doch gerne, gell?"
Man machte nicht gerne, aber man machte. Wir waren messbar begeistert, vor allem, weil unser Freund mit seinem rechten Bein jetzt intimen Kontakt mit der Dogge am anderen Nachbartisch aufnahm. Für eine "scheene Frau" macht Mann ja einiges, für eine Dänische Dogge hingegen eher weniger.
Als es dann zu Eigenmächtigkeiten seitens der Gäste kam - einige Neuankömmlinge setzten sich ungeachtet der Blumenkübel in den abgesperrten Bereich des Restaurants - wurde die Lage vollends unentspannt. Einige Kellner versuchten die Situation durch eine verzweifelte Maßnahme wieder beherrschbar zu machen: frühzeitiges Abkassieren. Nachdem auf diese Weise die Reihen der Gäste gelichtet waren, fand man sogar die Zeit, die Blumenkübel wegzuräumen und so Zugang zu den Gästen im verbotenen Bereich zu erhalten. Die hatten ja schon geraume Zeit darauf gewartet überhaupt bedient zu werden. Und standen kurz davor in ihrer Verzweiflung Kannibalismus als Option in Betracht zu ziehen.
Wir beschlossen zu gehen als die Dogge beschloss Freundschaft zu schließen.
Aber um zum Anfang zurückzukommen: An diesem Abend war alles perfekt. Kein Wunder, denn draussen war Eis und Schnee, aber kein Tropfen Regen.