Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Espresso

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Ihnen irgend etwas Wichtiges in Ihrem Leben fehlt? Und ich meine jetzt nicht so eine Nebensächlichkeit, wie eine Niere oder einen Meistertitel für den 1.FC Köln. Was uns vorschwebte war etwas, dass die Existenz erst vollwertig macht, das eine Lücke füllt, ohne das das Leben einfach unnütz erscheint. Sie ahnen wahrscheinlich von was ich rede, genau: eine Espressomaschine.

2001 war das Jahr der Espressoautomaten. 125 Millionen DM wurden in Deutschland für solche Geräte ausgegeben. Das ist etwas weniger als für Autos, aber immer noch dreimal mehr als für Umweltschutz. Es muss also etwas dran sein.
Alle unsere Freunde hatten schon eine oder wollten sich eine kaufen oder wollten sich Gedanken machen, ob sie sich eine kaufen sollten. Die Zeit wurde also knapp. Man darf nie der Letzte sein, der eine Innovation anschafft, weil man leicht in den Ruch gerät ein schnöder Mitläufer zu sein. Der Erste zu sein ist allerdings auch nicht ratsam, da man sonst auf die wertvollen Erfahrungen der Vorreiter verzichten muss. Eines der Geräte, das wir vorschnell in die engere Wahl gezogen hatten, entpuppte sich im Haushalt eines befreundeten Paares als in der Bedienung etwas hakelig und leicht defizitär in Sachen Betriebssicherheit. Ich denke, wir werden sie auf einen Cappuccino einladen, sobald sie aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Nachdem wir uns Prospekte besorgt hatte und diverse Vorführungen in diversen Geschäften miterlebt hatten wussten wir eines: Alles Gerümpel. Wir hatten gehoffte eines dieser Ehrfurch gebietenden, fauchenden Geräte erstehen zu können, die mit einem gewissen viktorianischen Charme auf den Theken dieser versifften italienischen Cafeterien stehen, die mir in Deutschland so fehlen. Die, mit dem vergilbten Inter Mailand Poster hinter dem Tresen. Keine Chance. Alles was man uns zeigte war Plastikkrempel, der eine gewisse Zeitbombenhaftigkeit erahnen ließ.

Interessanterweise kommt der Großteil der erhältlichen Geräte aus der Schweiz, einem Land dessen große Kaffeetradition ja weit über die Grenzen hinaus bekannt ist.

Als wir kurz davor waren das Handtuch zu werfen und uns eine Klinikpackung Tütencappuchino zu kaufen fiel uns ein kleiner Laden ein, der von außen den Eindruck erweckte etwas mit Kaffeemaschinen zu tun zu haben. (Ich lebe jetzt seit 35 Jahren in Darmstadt und war noch nie auch nur in der Nähe dieses Geschäftes.) Wir erlebten unser Damaskus: nie wieder werde ich mit dem Gedanken spielen eine Kaffeemaschine in einem Kaufhaus zu erwerben, ich bin geläutert.

Der Laden hatte diesen gewissen viktorianischen Charme wie die Theken dieser versifften italienischen Cafeterien... ich glaube sie ahnen worauf ich hinaus will. Genau, das Inter Mailand Poster war auch da.

Samstags, kurz nach 13 Uhr standen wir vor dem Laden, er sollte eigentlich schon geschlossen sein, war aber noch voller Kunden. Wir gingen also hinein. Es waren keine Kunden. Es waren die Kumpels des Ladenbesitzers, die sich dort zum samstäglichen Brunch versammelt hatten.

Bevor wir überhaupt ein Wort sagen konnten wurde uns schon ein Espresso aufgenötigt. Seine Beratertätigkeit nahm der Signore dann zwischen mehreren Snacks wahr - so ziemlich jeder der Anwesenden hatte handimportierte kulinarischen Perlen aus Bella Italia mitgebracht. Am leckersten war die luftgetrocknete Salami aus Umbrien...obwohl das Weißbrot...d.h. der Rotwein, der hatte auch was...aber ich schweife ab.

Als erstes wurden wir in eine der beiden Kundenkategorien eingeordnet:
"Wolle sie ein bequeme Maschin', oder liebe' sie Kaffä?".
Natürlich liebten wir Kaffee. Also fiel schon mal 85% des Angebotes (Amateurkrempel) für uns flach. Da wir auch noch ganz gerne Milch schäumen wollten reduzierte sich die Auswahl um weitere 10%. Die Maschine die übrig blieb gab es immerhin in zwei Ausführungen: Edelstahl und Kunststoff. Wir entschieden uns für die in Kunststoff, da die Edelstahlmaschine gewisse Assoziationen an OP-Gerätschaften in uns weckte.
Schon wähnten wir uns Besitzer einer eigenen italienischen Wunderespressomaschine. Allerdings hatten wir nicht mit den Geschäftspraktiken eines italienischen Kaffeemaschinenhändlers gerechnet:
"Kann ich Ihne nich' verkaufe."
"Häh!"
"Muss ich doch richtisch vorführe. Am beste komme an Montag, dann habe viel Zeit, koche bissche Kaffe und zeige alles."
Also Essig war's mit Espresso am Wochenende! Knallhart.

Montag kamen wir wieder, hatten Zeit und bekamen alles gezeigt, alles. Wir probierten ca. 10 verschiedene Zubereitungsarten von italienischem Heißgetränk. Von waffenscheinpflichtig bis zu heißem Wasser.
"Das ist erste Versuch, is' scheiße. Wenn Maschine noch kalt, is' immer scheiße."
Beim dritten Versuch wurde das perfekte Crema allen Anwesenden vorgefährt. (Natürlich waren wieder Freunde da).
Nur mit dem Milchschäumen wurden wir gewarnt:
"Brauchte viel Übung, geht nicht einfach so."
"Aber manche Maschinen habe so Aufschäumdinger..."
"Kansste vergesse', machste richtig oder lässte bleibe, gell."
"Ich versuch's seit Jahren und es klappt immer noch nicht", das war die Stimme seiner Frau, die uns moralische Unterstützung geben wollte.

Eine knappe Stunde - und etwa 10 Tassen Kaffee später - waren wir stolze Besitzer einer fast professionellen italienischen Espressomaschine. Das Ding bekam einen Ehrenplatz in unserer Küche und wurde sofort in Betrieb genommen. Wir lasen natürlich auch die Betriebsanleitung, immerhin waren wir gewarnt:
"Is' elektrisch' Gerät, musst du immer lese Anleitung."
Das heißt, wir haben sie fast gelesen.

Und jetzt muss ich Schluss machen - es dauert bestimmt noch eine Stunde, den Milchschaum aus den ganzen Ecken und Ritzen der Küche zu entfernen.

 

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