Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Psycho-Logisch

Neulich gab es im Fernsehen eine Sendung über psychologische Phänomene – Psychologie ist eines meiner Lieblingshalbwissensgebiete – die in der Fernsehzeitschrift noch ungemein interessant zu sein schien. Thema war dann allerdings „Nahe-Tod-Erfahrungen“ und um ehrlich zu sein, ich bin in den 80-ern in Darmstadt aufgewachsen, was sollte da noch groß Neues kommen. Also hab ich lieber zu einem einschlägigen Buch gegriffen.
Im letzten Jahr erschienen ja mehr Psychobücher in Deutschland, als Dieter-Bohlen-Songs, Bei den meisten handelte es sich um Verständigungshilfen bei der Mann-Frau-Kommunikation oder um Krisenbewältigungsratgeber. Ich hab sie alle gelesen.
Angefangen habe ich mit den Fachbüchern zur intergeschlechtlichen Kommunikation. Ich ging davon aus, dass der Löwenanteil meiner Probleme in den Missverständnissen zwischen Mann und Frau liegt.

Seit der Lektüre verstehe ich die Frauen zwar nicht besser, aber ich irre mich bewusster. Ich weiß jetzt beispielsweise, dass die menschliche Entwicklung in den letzten 500.000 Jahren ihre Spuren in unseren Genen hinterlassen hat. Das führt dazu, das Frauen schlecht einparken können, weil ihr dreidimensionales Denken in der Steinzeithöle nicht hinreichend gefordert war. Aus ähnlichem Grund sind die verbal-kommunikativen Fähigkeiten der meisten Männer unterentwickelt, weil die entsprechenden Teile unseres Gehirn jahrtausende lang unterfordert waren. Smalltalk auf der Mammutjagd wirkte eben eher ablenkend. Gut, das weiß ich jetzt, aber was hilft‘s mir, wenn wieder mal mein Leben von einer automobilen Hausfrau bedroht wird, oder die Führungsetage des hessischen Cholerikerverbandes im Stadion neben mir sitzt.
Was mir fehlt sind Lösungen. Also fing ich an die grundlegenen Theorien zu studieren, die sich mit Selbstmanagement, Krisenbewältigung, Stressbeherrschung und anderen Problemen befassten, die meine Oma immer mit einem unnachahmlichen „Stell dich net so an“ abgetan hatte.

Es ist erschütternd. Ich gestehe: Ich habe mein Leben bislang völlig falsch angepackt.
Ich weiß jetzt, dass ich der üblichen krisenbedingten Paralyse, am besten damit begegne, dass ich mir den schlimmstmöglichen Ausgang ausmale und mir dann sage, es könne eigentlich nur besser werden. Wenn die Methode allerdings nicht greift, landet man allabendlich beim Italiener und bestellt 5 Grappa und eine Pizza „Quatro Depressioni“.

Danach habe ich angefangen mein Leben nach einer amerikanischen Strategie zu Entrümpeln. Man muss dazu täglich 20 Dinge wegwerfen (Dateien von der Festplatte löschen zählt auch) Denn: eine aufgeräumte Umgebung bewirkt einen aufgeräumten Geist. Und abnehmen soll man dabei auch noch. Die Wirkung: Ich fall‘ jetzt auf dem Weg vom Fernseher zum Sofa nicht mehr so oft hin, aber ich vermisse meine Möbel irgendwie. Also, auch kein Allheilmittel.

Die nächste Stufe war die Neuausrichtung meiner Existenz nach fernöstlichen Ansichten. Damit meine ich nicht die neue SONY-Großbildglotze, sondern „Feng-Shui“. Selbst in Darmstadt gibt es mittlerweile mehrere Fachgeschäfte, wo man entsprechendes Zubehör wie Windspiele, Zimmerbambus oder Zentnersäcke Reis erstehen kann, das für ein ordentliches Feng-Shui Heim zwingend nötig ist. Dummerweise ergab sich schon in der ersten Phase, das klitzekleine Problem, dass ich bedingt durch meinen ungünstigen Geburtstermin unsere Wohnung unbedingt um 12 Grad nach Osten drehen müsste und das Badezimmer in den Flur zu verlegen hätte, sonst würde ich laut Feng-Shui-Handbuch binnen wenigen Monaten dem Wahnsinn anheim fallen. Wir wohnen nun aber schon mehrere Jahre dort, also kann das mit dieser Theorie ja auch nicht so weit her sein. Hoffe ich zumindest.

Als nächstes hab‘ ich es dann mit „Selbstmanagement“ versucht. Jeden Tag alle zu erledigenden Aufgaben auf eine Liste schreiben um sie dann systematisch abzuarbeiten. Rituale schaffen – also Dinge immer wieder auf die gleiche Art und Weise zur selben Zeit erledigen – und (ganz wichtig) Pufferzeiten einplanen. Ich hab’s versucht, ehrlich. Dummerweise scheiterte das Projekt an der fehlenden Kompatibilität meiner Umwelt. Meine Liste begann mit „Frühstück: 7.00Uhr“ und bereits um 9.12 hatte ich sämtliche für den Tag vorgesehenen Pufferzeiten verbraucht, weil entweder meine Kollegen, mein Auto oder mein Wecker ihre Rolle in meiner Lebensumstellungsphase nicht ernst genug nahmen. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich auf diese Weise eine Art ortswechselfreies Jet-Lag-Stadium erreicht. Ich lebte in meiner eigenen Zeitzone. Tatsächliche Tageszeit 23.04 Uhr, gefühlte Tageszeit 16.11 Uhr und somit kein Kontakt mehr zu Freunden und Fernsehprogramm. Erschreckend, wenn man mit den „Simpsons“ rechnet und den „Mutantenstadl“ zu sehen bekommt. Das verwirrt einen jungen Menschen wie mich ungemein.

Nächste Stufe: „Selbstfindung“. Nach all den Misserfolgen wollte ich analysieren, wo ich eigentlich war. Meine Rolle in unserer Gesellschaft identifizieren und dann einen Neubeginn wagen. So rieten es zumindest einige Broschüren die mir in die Hände gefallen waren. Dummerweise liefen alle Hinweise, wo denn nun mein Platz sei auf dasselbe hinaus: Stehtribüne Mitte beim SV-Darmstadt 98. Damit kam ich auch schon zum nächsten Punkt meiner Psycho-Odysee: „Scheitern lernen“ – ganz hart am Puls der Zeit. Selbst Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse übern sich momentan darin.

Ich stellte aber fest, dass ich das eigentlich ganz gut kann. Seit meiner Kindheit prägte das gekonnte Scheitern mein Dasein. Laut einer britischen Studie „macht Scheitern gescheit“ und „Enttäuschungen befreien von Täuschungen“. Und ich muss sagen, es stimmt. Ich habe gelernt, dass der ganze Psychokram nichts für mich ist. Habe alle Ratgeber bei Ebay an Menschen vertickt, die noch nicht so weit sind wie ich und buchte mit dem Erlös eine nette zweiwöchige Reise für mich und meine Frau.

Die fand sowohl diesen Einfall wie auch mich spontan sympatisch und seitdem ist mein Leben irgendwie besser geworden.

 

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