Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Die Zeiten ändern sich...

Neulich waren wir nach langen Jahren mal wieder in der Kneipe, in der ich einige der glücklichsten Stunden meiner Jugend verbracht habe (und auch einige der Stunden, an die ich nicht mehr unbedingt erinnert werden möchte, vor allem, weil ich mich nicht mehr wirklich an sie erinnere - Sie verstehen?)

Die Kneipe hat in den letzten Jahren mehrfach den Besitzer, aber niemals die Einrichtung gewechselt. Auch auf der Karte fanden sich noch die alten Freunde, nur marginal erweitert durch einige neumodische Ergänzungen wie "Bananenweizen" und vorgemischte Teeniealkoholika.

Wir fühlten uns auf Anhieb wie zu Hause. Das einzig nervige beim Betreten von Etablissements, die vorrangig von Schülern und Studenten frequentiert werden, ist, dass sich normalerweise alle Augen auf uns richten und die Hälfte der Besucher verzweifelt versuchen ihre Narkotika zu verstecken, weil sie Menschen über 30 prinzipiell für Drogenfahnder hält.

Wir hatten Glück. Wir durften uns im ansonsten knallvollen Raum an den letzten leeren Tisch setzen. Der war lustigerweise mit einem "Reserviert" Schildchen verziert, das aber keinen wirklichen Sinngehalt zu haben schien. Irgendetwas an diesem Tisch rief in mir ungute Erinnerungen hervor... 20 Sekunden, nach dem wir uns gesetzt hatten wusste ich auch wieder warum: Direkt über dem Tisch hing immer noch ein Lautsprecher, der uns prompt mit einem Potpourri aus 80er-Jahre-Rockmusik begrüßte. Das Liedgut meiner Jugend in unangemessener Lautstärke - schön.

An Unterhaltung war kaum noch zu denken, also beschäftigten wir uns damit, die aktuelle Weltpolitik mittels Zeichensprache zu diskutieren. Gaben aber bald auf, da die Vorgänge am Nachbartisch unsere ganze Aufmerksamkeit forderten. Dort saß eine lockeres Rudel männlicher Heranwachsender, die sich gewissen Mannbarkeitsritualen widmete. Nach kurzem Nachrechnen kamen wir zu dem erschreckenden Schluss, dass sich die Jungs als wir dieses Lokal noch regelmäßig frequentierten, höchstens als Eintrag im 5-Jahres-Plan ihrer Eltern existiert haben können.
Wie auch immer, wir hofften, das eine solche Zusammenballung hormongesteuerter Fröhlichkeit für unbeteiligte Zuschauer bald amüsant werden würde.

Und sie wurde bald amüsant: kaum hatte der Alkoholspiegel die kritische Marke von 0,5 Promille überschritten ließen die ersten Gelageteilnehmer Anzeichen cerebraler Ausfälle erkennen. Da bei Alkoholgenuss das Auflösungsvermögen des Sprachzentrums sinkt, gleichzeitig aber der Bedarf an Kommunikation steigt, wurde es am Nachbartisch bald gemütlich laut. Vor allem als der klassische Wettbewerb ausgetragen wurde, wer die Speisekarte noch fehlerfrei vorlesen kann. Sieger wurde einer der älteren Teilnehmer, der als einziger auf Apfelschorle gesetzt hatte. Wahrscheinlich war er der einzige mit Führerschein und deshalb zu Chauffeurdiensten verdammt. Ihm gelang es als einzigem die Qualifikationshürde, da er das Wort "Tintenfischringe" ausprechen konnte, ohne sein Gegenüber völlig einzuspeicheln.

Die Zweite Runde bestand aus der Einnahme von härteren Alkoholika. Ich habe übrigens bis heute nicht verstanden, warum man vor dem Öffnen von Kleinstflaschen mit Schnapsimitat zuerst den Flaschenhals mehrfach auf die Tischplatte schmettern muss. Falls jemand die Antwort kennt, bitte ich um eine kurze Mail.

Mit steigendem Alkoholpegel wurden natürlich auch immer mehr Frauengeschichten (erlogene und erfundene) erzählt. Der Testosterongehalt der Luft erreichte bald derart besorgniserregende Werte, dass wir um die Gesundheit der Bedienung fürchteten, die sich zur Entgegennahme der Bestellungen jedesmal weit über den Tisch beugen musste. Aber zum Glück wurde hier wieder einmal bewiesen, dass die alte Weisheit "Hopfen und Malz sind gut für die Balz" keinerlei Realitätsbezug hat.

Wir selbst hielten uns natürlich mit Alkoholika angemessen zurück. 3 - 4 Weizenbier zur Pizza, mehr nicht. Dann vielleicht noch ein paar als Dessert.

Ich bin ja kein unbedingter Anhänger moderner Telekommunikation. Aber scheinbar gehören Foto-Handy heute zum Grundarsenal eines jeden Heranwachsenden, zumindest lieferten sich die Jungs ein passables fotografisches Kreuzfeuer.
Andererseits muss ich schon sagen, die Möglichkeiten das Leben eines "Freundes" zur Hölle zu machen, indem man ein paar peinliche Fotos mit dem Handy macht und diese dann praktisch ohne Zeitversatz an dessen Familie und Freundin mschickt, das hat schon viel Schönes. Vor allem, wenn man nach (!) dem Versenden noch dem Portraitierten kurz das Paparazzimaterial zeigt, so dass er sich schon mal auf einen warmen Empfang zu Hause vorbereiten kann.
Als sich die lustige Runde auflöste, beschlossen auch wir zu gehen. Der Abend endete allerdings mit einem kleinen moralischen Tiefpunkt, als sich die Bedienung in völliger Fehleinschätzung meines Alters im Ton vergriff und "Sie" zu mir sagte.

Also ehrlich, nur weil der einzige Anwesende, der älter war als ich der Flipper im Eingang war, muss man sich ja nicht gleich alles gefallen lassen...

 

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