Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.
Meine Heimatstadt wird geklont...
Ich muss zugeben jedesmal, wenn ich Darmstadts City einen Besuch abstatte - was zugegebenermaßen nicht mehr allzuhäufig passiert - werde ich Zeuge einen schleichenden Prozesses, der mir ein wenig Angst macht.
Meine Lieblingsstadt mutiert vor sich hin. In meiner Jugend war Darmstadt zwar auch schon provinziell, aber immerhin auf eine eigenständige Art und Weise. Es gab jede Menge Geschäfte, die anderswo wahrscheinlich keinen Hund hinter dem Ofen hervorgelockt hätten, aber es waren Darmstädter Geschäfte. Es gab sogar für die Intellektuellen der Stadt ein richtiges Programmkino, das aber der in den Achtzigern einsetzenden kulturellen Gleichschaltung zum Opfer fiel. Aus unverständlichen Gründen wollte niemand mehr polnische Autorenfilme mit Untertiteln sehen.
Die erste drastische Maßnahme war dann der Bau einer "Shopping-Mall" nach amerikanischem Vorbild mitten an unserem zentralen Luisenplatz. Das Gebäude versiegelte eine nach der Bombardierung im zweiten Weltkrieg übrig gebliebene Grünfläche und stand in all seiner Hässlichkeit für Darmstadts Anschluss an die neue Zeit. Gleichzeitig wurde mit dem Bau des City-Rings und des dazugehörigen Tunnels die Darmstädter Parkhäuser für ein breites Publikum erschlossen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Darmstadt wahrscheinlich die einzige Stadt ist, die nicht durch eine U-Bahn, oder römische Ruinen, sondern durch Tiefgaragen komplett unterhöhlt ist. Wenn Sie parken wollen, kommen Sie nach Darmstadt.
Aber in den letzten Jahren setzte ein schleichender Prozess ein, der viel subtiler das kleine Darmstadt zu einem Abbild einer geheimen Normstadt machen soll. Das klingt irgendwie nach George Orwell? Aber ich weiß: Nur dass man sich nicht verfolgt fühlt, bedeutet nicht, dass sie nicht hinter einem her sind.
Immer mehr der original Darmstädter Geschäfte schließen und werden durch Läden ersetzt, die der Erfüllung bestimmter universal-uniformer Bedürfnisse dienen. Allein die strategische Platzierung mehrerer Filialen eines wohl die Weltherrschaft planendenDuftwassermoguls macht es möglich, alle zwanzig Schritte After-Shave, Parfüm und Seife zu kaufen. Entweder die Darmstädter haben einen gewissen Körperpflegenachholbedarf oder es handelt sich um Wellness-Imperialismus nach der Devise "Zuviel ist nicht genug!".
Es wird sehr geschickt vorgegangen: Die ersten Läden die verschwanden waren Nischenbewohner des lokalen Geschäftslebens: Schirmgeschäfte, Hutläden und Fachgeschäfte für mittelalterliche Blankwaffen. Aber dann folgten die ersten Läden in bester Lage. Ein traditionsreiches Haushaltswarengeschäft am Marktplatz mutierte zur Deutschen Bank-Privatkundenfilliale (und behaupten Sie nicht, es wäre einzig schnödes Gewinnstreben der Besitzerin gewesen den Laden zu verkaufen, ich weiß es besser).
Wo früher Helden des Einzelhandels eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft erfüllten, knuffelt sich heute ein Mobilfunkladen an den anderen. Jetzt kann endlich jeder mit jedem reden, egal wo er ist. Aber ob man sich auch mehr zu sagen hat...
Statt exklusiver Mode oder Fachartikeln für die selbstnähende Hausfrau gibt es nur noch Ketten, die Tand verkaufen. Und dessen Käufer stellen mit Sicherheit schon beim Heimtransport den Nutzwert ihres Einkaufs derart in Frage , dass die Tüten wahrscheinlich unausgeräumt in den Müll wandern. Daher auch die Berge in Plastiktüten bestatteter Motiv-Handyschalen auf unseren Deponien.
Immerhin gibt es kleine Gegenangriffe um die schleichende Veränderung meiner Heimatstadt zu bremsen (stoppen wird man sie wohl nicht mehr können). Die Ansiedlung einer Beate-Uhse-Filiale am Marktplatz wurde wohl gerade noch von moralisch hochstehenden Menschen gebremst, denen die Seriosität unserer Stadt am Herzen liegt. Ein lange brach liegender Innenstadtbereich wurde zur Kultur- und Erlebnisshoppingzone aufgerüstet - aber Vorsicht, im Gastronomiebereich der Carree-Markthalle taucht schon der erste Franchising-Brückenkopf in Form eines McDonalds-Standes auf.
Neulich war in unserer Regionalpostille, dem "Darmstädter Echo", zu lesen, dass schon 57 Prozent der Innenstadt in der Hand von überregionalen Ketten sei. Vorsicht ist also geboten.
Aber es gibt auch Lichtblicke: Als Gegenpol zu einem marktbeherrschenden Backwarenimperium hält ein tapferes Bäckerlein die Fahne der Dienstleistungpartisanen hoch: Die "Geheimbäckerei" Faust im Röhnring. Die arbeitet so sehr im Untergrund, dass sie sogar auf ein ordentliches Firmenschild am Laden verzichtet. Dort versucht man Sympathisanten zu gewinnen, in dem man Deutschlands besten Käsekuchen (mit und ohne Rosinen) an Eingeweihte vertreibt. Ein leise "Hoch!" der Backresistance.
Aber irgendwann werde ich auch die Vorbildstadt entdecken, nach deren Muster andere deutsche Städte geklont werden. Woran ich sie erkennen will? Ganz klar, weil es dort so aussieht wie zu Hause.