Wieviel gummibÄrchen braucht ein Mann, um zu vergessen.

Der Neandertaler in mir...

Neulich sprach ich mit einer Nachbarin einer reizenden älteren Dame. Sie berichtete mir wie üblich ein wenig von ihren Fernseherlebnissen:
„Wissen Sie, da gibt es so Menschen, die sind an so Geräte angeschlossen, bei denen kann man überhaupt keine Hirntätigkeit mehr messen.“

Ich wollte zuerst entgegnen, dass ich mir über die Gefahren von Premiere-Decodern durchaus im Klaren wäre, aber dann wurde mir klar, dass sie von bedauernswerten Zeitgenossen in den Spitälern unseres Landes sprach.

Später geriet ich dann, angeregt durch unser Gespräch, ein wenig ins Philosophieren. Die klassischen Fragen halt: Wer bin ich, was bin ich, wo bin ich (zum ordentlichen Philosophieren benötige ich normalerweise eine gewisse Rotweindosis, die irgendwann ihren Tribut fordert).

Ich kam zu dem Schluss, dass der menschliche Intellekt normalerweise gnadenlos zu hoch eingeschätzt wird. Im Grunde steht uns unser immenses Gehirnpotenzial nur im Weg. Aber der menschliche Körper hat im Laufe der Evolution Mittel und Wege ersonnen, um die Gefahren des Klügerwerdens abzufedern. Wo der Homo habilis noch weitgehend unbeeinflusst von lästigen Großhirnaktivitäten über die unfruchtbaren Ebenen seiner Heimat streifte, da hat der moderne Homo sapiens einen biologischen Bremsklotz im Kopf, der mit Sicherheit schon mehrfach zum Aussterben der Menschheit geführt hätte. Nur dank einiger im Untergrund leise wirkender atavistischer Funktionalitäten gelang es uns überhaupt so lange zu überleben, dass wir das Rad, die Mikrowelle und die Zwölftonmusik erfinden konnten.

Ein etwas absonderlicher Österreicher hat sich vor einiger Zeit die Aufgabe gestellt, die verzwickten Mechanismen des menschlichen Verstandes zu entwirren. Er hat nur durch die Einnahme hoher Dosen von Narkotika lange genug überlebt, um uns an seinen Entdeckungen teilhaben zu lassen. Sein Name war Sigmund Freud. Während meines Designstudiums wurde ich in einsamen Nachmittagsvorlesungen mit seinen Erkenntnissen vertraut gemacht und habe eine erschreckende Erkenntnis gewonnen: Glauben sie mir, das, was Sie so sagen und tun, das sind gar nicht Sie.

Ein Großteil unserer Gehirnprozesse sind unbewusst. Praktisch jede Entscheidung, die man so trifft - besser zu treffen glaubt - beruht auf Mechanismen, die sich aus unserer stammesgeschichtlichen Frühzeit erhalten haben. Lasche 250.000 Jahre Zivilisation (gehen wir mal davon aus, dass man die Erkenntnis, dass unbekleidet im Winter draußen zu schlafen ungesund ist, als Beginn der Zivilisation werten kann) haben da noch keinen spürbaren Einfluss gezeigt.

Es gibt praktisch nur zwei existenzielle Ziele die uns vorantreiben: Überleben und Fortpflanzen. Wer sich das deutsche TV-Abendprogramm kritisch anschaut findet diese Behauptung zweifellos bestätigt.

Diese Urinstinkte sind beispielsweise auch der Grund, warum Diäten nicht funktionieren. Der Körper hat in jeder Zelle das Wissen verankert „Nahrungsmangel ist gefährlich“ und leitet umgehend Gegenmaßnahmen ein. Und wenn unser Körper sich verarscht fühlt, reagiert er etwas hysterisch. Wenn man z.B. oben etwas scheinbar fettig-nahrhaftes, z.B. kalorienreduzierte-geschmacksstabilisierte Kartoffelchips einfüllt und unten kommt kein Gramm Fett an, heißt das für unseren Körper logischerweise: mittendrin ist etwas kaputt. Also werden die entsprechenden Prozesse einer kurzen Wartung unterworfen und ein wenig optimiert. Als Folge nehmen wir von nun an an jeder Scheibe Knäckebrot 500 Gramm zu.

Ein weiterer interessanter Punkt ist ein Verhalten, das die Psychologie „affektiv-cognitive-Dissonanz“ nennt. Ein Wunsch (Affekt) trifft auf eine bewusste (cognitive) Reaktion , die ihn zu überprüft und notfalls zu unterdrücken versucht. Eigentlich ist dieser Mechanismus dazu da, uns zu schützen (Überleben, eine der Grundmotivationen, wir erinnern uns).

Beispiel. Ein 2 Meter großer Hooligan lästert über ihre neue Frisur. Spontaner Wunsch: Ihm entspannt auf die Fresse hauen. Das Bewusstsein warnt: Obacht, man könnte selbst aufs Maul kriegen. Die sinnvolle Reaktion: Klappe halten und zügig weiter gehen.
So sollte das ablaufen. Dummerweise arbeitet dieser Rettungsmechanismus in unserer modernen Gesellschaft allzuoft gegen uns:
Beispiel: Sie stehen hungrig vor dem vollen Kühlschrank. Der Wunsch ist, möglichst unkompliziert einen erhebliche Menge fett- und zuckerhaltige Energielieferanten in sich hineinzuschaufeln. Der Intellekt sagt jetzt: „Nein! Iss lieber eine Scheibe Vierkornknäcke oder trink ein Glas lauwarmes Wasser“.

Die Dissonanz zwischen diesen beiden Prozessen wird normalerweise so gelöst: „Hmm, in dieser 200 Gramm Tafel Nussschokolade ist doch so viel Milch drin, die muss mir doch gut tun.“ Und das Schicksal von Schokolade und Hüftumfang ist besiegelt. Danke liebes Großhirn. Clever denken, beknackt handeln. So ist das halt.

Die andere Grundmotivation ist die Arterhaltung. Gerade wir Männer werden gerne mal von unseren Instinkten geleitet. Wie viele normalerweise recht kontrollierte Kerle sind schon sehenden Auges zum Vollidioten mutiert, weil die Libido die Kontrolle übernahm. Dazu muss man kein Ex-Tennisstar sein, das klappt bei jedem.

Wer kennt das nicht: Man läuft durch die Stadt und vergisst mal wieder der Hausfrau in mittlerem Alter, die mit vier Einkaufstaschen bepackt hinter einem durch die Tür zum Supermarkt will, die Tür aufzuhalten. Aber wer vergisst das noch, wenn die „Hausfrau“ Anfang Zwanzig, kess gekleidet und lang-blond behaart ist. Da springt doch zuerst ein Hormon und dann der Mann zum Türgriff. Dieser Reflex funktioniert übrigens auch bei elektrischen Türen, die Hilfeleistung ist aber bei Weitem nicht so beeindruckend.

Also, locker bleiben, wenn Sie mal wieder irgendwelchen Unfug angestellt haben. Das waren nicht Sie, sondern der Neandertaler in Ihnen.

 

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